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Dingler und die Medhurst Presse
(Zweibrücker Industriekultur, Klaus Meissner, September 2025)
Das Torsions-Kniehebelsystem von Medhurst
Der Engländer George Medhurst erfindet, vermutlich vor dem Jahr 18161), eine Presse mit wenigen Bauteilen aber einem eleganten und sehr wirkungsvollen Mechanismus – dem Torsions-Kniehebel. Das Bild zeigt eine Presse mit Torsions-Kniehebel von Löser aus Wien2).
Zwei Stangen stützen sich verschränkt zueinander auf einem Ring ab, der sich um die Tiegelmitte drehen kann. Beim Drehen werden sie, je nach Drehrichtung mehr oder weniger verschränkt. Beim Strecken (d.h. dem Annähern an eine Ausrichtung parallel zur Hochachse der Presse) drücken sie den Tiegel abwärts. Da sich die Kontaktpunkte auf einer Kreisbahn bewegen, nimmt mit weiterer Verdrehung des Ringes der entstehende Druck überproportional zu, während gleichzeitig der zurückgelegte Tiegelweg abnimmt (Kniehebeleffekt). Die Presse beschreibt Krebs 1827 ausführlich in seinem Buch3).
Ein einfacher aber wirkungsvoller Mechanismus
Das Prinzip von Medhurst ist beliebt und wird vielfach nachgebaut, z.B. in der Liebherr’schen Presse, die als Säulenpresse von Koch (München) bekannt wurde, oder der Presse von Löser aus Wien. Als „Deutsche Handpresse“ wird sie von vielen deutschen Herstellern angeboten. In den Vereinigten Staaten erhält Abraham Stansbury 1821 ein Patent auf eine Presse nach dem Prinzip von Medhurst.
Dingler und der Mechanismus der Zweibrücker Presse
Von Dingler sind keine Medhurst Pressen bekannt, obwohl seine Zweibrücker Presse den Torsions-Kniehebel als Mechanismus verwendet, allerdings in doppelter Ausführung! So wie Dingler üblicherweise neue Pressen einführte (erst Nachbau, dann Verbesserung und Vermarktung), läge es nahe, dass er vor dem Bau der Zweibrücker Presse den Mechanismus an einem Nachbau studiert hat.
Die mysteriöse Presse
Eine etwas mysteriöse Spur führt ins Tessin bzw. nach Norditalien; der Typograf und Drucker Giovanni Mardersteig hat in seiner „Officina Bodoni“ (1922 – 1977) auf einer Handpresse Bücher für Bibliophile in ausgezeichneter Qualität gedruckt, er nennt seine Handpresse Dinglerpresse!
„In der deutschen Bücherei in Leipzig hatte Mardersteig eine von Gottfried Dingler (1778-1855) entworfene Handpresse gesehen, die sich in ihrer Konstruktion und der ungewöhnlich soliden Bauart wesentlich von den üblichen Handpressen unterschied, in dem sich durch die Funktion dreier Säulen (deren mittlere sich bei Zug des Hebels vertikal verlängerte, während die äußeren aus schräger, zu senkrechter Stellung gebracht wurden) die ganze Fläche des Tiegels absolut horizontal, dem auf der Druckplatte stehenden Satz näherte und dann mit höchst gleichmäßigem Druck den Tympan berührte. Er entschied sich, eine dieser Pressen zu erwerben, die in über 50 Jahren weder Reparaturen noch Ersatzteile erfordert hat.“4)
Mardersteigs Besuch in Leipzig fand vor dem Jahr 1922 statt, denn ab dann druckte auf der gekauften Handpresse, zunächst in Montagnola di Lugano, später in Verona. Die Zuordnung der Entwicklung der Presse zu Gottfried Dingler, dem Onkel von Christian Dingler ist vermutlich dem Umstand geschuldet, dass Mardersteig der Verleger des polytechnischen Journals um 1920 eher bekannt war als sein Neffe.
War die Presse in der Officina Bodoni von Dingler
Die Presse, die Mardersteig verwendete, war offenbar nicht von Dingler. Zeichnungen dieser Presse (Kupferstiche und Holzschnitte, siehe nebenstehendes Bild5)) sowie ein Foto im Internet, zeigen eine Presse mit Medhurst-Mechanismus, der Rahmen der Presse scheint aber nicht von Dingler zu sein.
Welche Presse Mardersteig in Leipzig gesehen hat und wieso er den Bezug zu Dingler herstellt, kann hoffentlich geklärt werden. Damit könnte die Frage beantwortet werden, ob Dingler zum Probieren des Mechanismus einen oder mehrere Nachbauten der Medhurst Presse angefertigt hat, bevor er die erste Zweibrücker Presse baute.
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