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Georg Ritter
(Zweibrücker Industriekultur - Klaus Meissner - August 2025)
Bester Drucker Deutschlands und das Drucken im industriellen Maßstab
Auch wenn das Druckgewerbe nicht zur Industrie zählt, ist es sinnvoll sich den Zweibrücker Drucker Georg Ritter mit seinen Wirkungen auf die Entwicklung der Industrie in Zweibrücken genauer anzusehen. Ritter hat die Witwe des Druckereibesitzers Baur geheiratet und wurde selbst ein erfolgreicher Drucker, dessen Werke höchstes Ansehen – auch unter seinen Kollegen – genossen1)2).
Der Drucker Georg Ritter und sein Schwiegersohn Christian Dingler
Durch die Heirat seiner Stieftochter Friederike Wilhelmine Dorothea Baur (*1810 Zweibrücken †1885 ebd.) mit Christian Dingler im Jahr 1828 ist Ritter mit Dingler verbunden und hat als Kunde für die ersten Dingler’schen Druckerpressen Einfluss auf das Produkt und auf die Entwicklung der mechanischen Werkstätte von Dingler, aus der später ein Weltunternehmen hervorgehen wird.
Ritters Einfluss
Ritter druckt das neue Unionsgesangbuch (s.u.) und es liegt nahe, dass Dingler durch ihn viel über Organisation einer Produktion im industriellen Maßstab lernen konnte.
Wir dürfen annehmen, dass Ritters Druckerei für Dinglers Pressen so etwas wie ein Testlabor war. Vermutlich meint Dingler dies, wenn er über seine Pressen schreibt: „Bei der Ausführung derselben haben wir unsere eigenen auf langjährige Beobachtungen in diesem Fache gestützten Erfahrungen berücksichtigt und mögliche Solidität mit Eleganz verbunden.“3)
Erste Druckerpressen der Bauart Stanhope von Dingler sind bei Ritter bereits ab Ende 1828/Anfang 1829 in Betrieb (s.u.). Weitere Typen der Pressen haben sicherlich auch ihren Weg in die Druckerei gefunden, so hat Ritter später z.B. eine Dingler’sche Schnellpresse betrieben4).
Das Unionsgesangbuch
Die lutherischen und reformierten Gemeinden der Pfalz vereinigen sich 1818 zu einer unierten protestantischen Kirche. Auf ihrer 2.ten Generalsynode im Juli 1821 wird die Herausgabe eines einheitlichen Gesangbuchs (Unionsgesangbuch) beschlossen.
Georg Ritter hat zum 11.08.1821 seine Druckerei in die Pfarrgasse (heute Ritterstrasse) verlegt, er erhält den Auftrag für das Gesangbuch und druckt es ab 1823. Die erste Auflage im Jahr 1823 hat ca. 30000 Exemplare, bis 1857 entstehen insgesamt 11 Auflagen mit in Summe ca. 300000 Exemplaren.
Drucken im industriellen Maßstab
Derartig große Auflagen in einem mittelgroßen Stadthaus (Wohn- und Geschäftshaus zugleich) zu produzieren ist eine organisatorische Meisterleistung und erfordert präzise Vorplanung und Arbeitsorganisation!
Die Druckerei verteilt sich vermutlich auf mehrere Geschosse, im Erdgeschoss die schweren Maschinen wie Druckerpressen, Buchbinderpresse, Schneidemaschine, Hobelmaschine (f. d. Stereotypieplatten), unter dem Dach ist die Gießerei der Druckplatten (wenn es dort der Gießöfen wegen brennt, ist nur das Dach dahin…) und irgendwo dazwischen ist die Setzerei, der Platz des Faktors, lagert unbedrucktes Papier und Pappe, die Papierbögen werden vor dem Druck angefeuchtet und nach dem Druck zum Trocknen aufgehängt. Der Materialfluss im Hause und über die sicherlich steilen Stiegen muss beeindruckend gewesen sein!
Es gilt große Mengen an Verbrauchsmaterial (Papier, Karton, Druckfarben, Fäden, Leim) und Hilfsmitteln (Gips, Letternmaterial, Brennstoff für die Gießerei) zu beschaffen und Abläufe bei Satz, Druck und Buchbindung so zu gestalten, dass die Mitarbeiter sich nicht gegenseitig behindern. Zu guter Letzt müssen die fertigen Bücher gelagert oder versendet werden.
Das Unionsgesangbuch der Pfalz von 1823 hat 586 bedruckte Seiten zzgl. Vorsatzblätter und Einbanddeckel. Mit einem Gewicht eines fertigen Gesangbuchs von ca. 400 gr.5) , mussten für die erste Auflage mehr als 12.000kg Papier und Karton (netto) beschafft, geprüft, gelagert, bereitgestellt, teilweise angefeuchtet, bedruckt, getrocknet und in der Gesamtheit gebunden und beschnitten werden…
Das Stereotypieverfahren
Ritter hat vor 1823 das Stereotypie-Verfahren nach Charles Earl Stanhope eingeführt. Dabei wird ein Gipsabguss der aus einzelnen Lettern gesetzten Druckformen hergestellt und mit Letternmetall als zusammenhängende Platte ausgegossen. Die einzelnen Lettern können direkt wieder verwendet werden und verschleißen kaum, da sie nicht zum Drucken verwendet werden. Die Stereotypie ist ein Verfahren für qualitativ hochwertige Drucke in großen Auflagen. Georg Ritter hat es in der Stereotypie zur Meisterschaft gebracht, belegt durch seine wunderbaren Drucke, was ihm z.B. auf der Leipziger Buchmesse auch außerordentliche Anerkennung durch seine Kollegen einbrachte.
Stereotypie-Platten können nach dem Drucken aufbewahrt werden, um bedarfsweise weitere Auflagen zu produzieren ohne die Formen neu zu setzen. Man kann aber auch große Gesamtauflagen in handhabbaren Losgrößen abarbeiten. Die Größe einer hergestellten Partie (Los) kann bedarfsgerecht kleiner als die gesamte Auflagengröße gewählt werden. Damit sind große Auflagen logistisch einfach in Partien (Losen) abzuarbeiten, und auch kommerziell besser zu handhaben. Ein erstes Los kann bereits früh in den Verkauf gehen und seine Vermarktung wartet nicht auf das Ende des Druckes der gesamten Auflage. Dies versetzte Ritter in die Lage Teilmengen der Verbrauchsmaterialien zu beziehen und den Verkauf frühzeitig zu beginnen, um so direkt einen Teil seiner zuvor getätigten Auslagen zu kompensieren, heute würde man von „cash-flow-management“ sprechen.
Die Optimierung des Druckens – die Druckerpressen
Offenbar gab es noch Verbesserungspotential im Druckprozess.
Über die zweite Auflage schreibt Molitor: „Die nächste Auflage geschah sodann auf den Stereotypplatten mit Stanhope Presse im doppelten Formate, …“ […] „… daß hiebei gleichzeitig auf sechs Pressen gearbeitet wurde: auf 4 eisernen, einer Holzpresse nach älterem System und einer Steindruck Presse.“6) Die Stanhope Presse erlaubt es bei verringerter Kraftanstrengung des Druckers das doppelte Format zu drucken und der Verschub des Karrens um eine halbe Seitenbreite, wie bei der hölzernen „two-pull-press“, entfällt. Ob es sich bei der erwähnten Stanhope Presse bereits um eine Presse von Dingler handelt ist nicht bekannt.
Die Anwendung des Stanhope’schen Stereotypieverfahrens legt für Ritter die Anwendung der eisernen Presse von Stanhope nahe7).
Im April 1829 betreibt Georg Ritter 7 Druckerpressen, davon 2 eiserne Stanhope Pressen, die von Dingler gebaut wurden8). Bei den Pressen handelt es sich offenbar um die ersten, die von Dingler gebaut wurden. Sie dürften in ihrem Erscheinungsbild der heute noch erhaltenen Stanhope Presse, die Johann Georg August Wirth zugeordnet wird, entsprochen haben.
Ritters Einfluss auf Dingler
Vermutlich im Wesentlichen angeregt durch Ritter baut Dingler nacheinander verschiedene Pressentypen (Stanhope, Columbia, Cogger, …), indem er bestehende Konstruktionen adaptiert und verbessert, immer auf der Suche nach dem „perfekten Mechanismus“, d.h. der Konstruktion, die die Handkraft des Druckers am Besten in die Abwärtsbewegung des Tiegels wandelt. Mit der von ihm „Hagar Presse“ genannten Kniehebel Presse verfügt er über einen wirkmächtigen Mechanismus, der anfänglich eine zügige Bewegung ausführt, die sich zum Druck verlangsamt und beim Druck aus moderaten Handkräften gewaltige Druckkräfte erzeugt. Sie ist die erste einer Baureihe von Kniehebelpressen (Hagar, Zweibrücker und Dingler Pressen) die – bei unterschiedlichen Kniehebel-Mechanismen - über dieselben Pressenrahmen verfügen (Ausnahme: Oberbalken an dem der Mechanismus angreift). Diese Pressen fertigt Dingler in Serie in seiner neuen Produktionsstätte, dem Schönhof.
Die Pressen mit den Rahmen werden zerlegt geliefert und vom Drucker vor Ort aus den standardisierten Einzelteilen zusammengebaut. Das reduziert die Aufwendungen für den Transport und Dingler konnte damit die Größe der Fertigungslose (Zusammenfassung mehrerer Gleichteile pro Los) zur Optimierung der Produktion nutzen. Es liegt nahe, dass er sich bei diesen Gedanken im Prinzip der Methode der Losgrößenoptimierung Ritters (in diesem Fall ein Aufsplitten einer Auflage in Fertigungslose) bediente, ob bewusst oder unbewusst, bleibt wohl immer ein Geheimnis.
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